Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden
Wehrdienst in unsicheren Zeiten – eine Herausforderung für die Kirche
[ Hinweis zur Kontingentwehrpflicht:
Sollte eine im Kabinett der Ampelregierung noch beschlossene Gesetzesänderung keine Parlamentsmehrheit mehr finden, ist bei einer neuen Bundesregierung eine Kontingentwehrpflicht in Aussicht: Es haben sich die Christdemokraten bereits im Mai auf ihrem Parteitag darauf verständigt, die Wehrpflicht schrittweise zurückzubringen und eine sogenannte „Kontingentwehrpflicht“ einzuführen. Dabei würden erst alle Männer und Frauen gemustert, um der Bundeswehr dann eine verpflichtende Auswahl nach Bedarf zu ermöglichen. > siehe hier im Text ganz unten! ]
5 Thesen zum neuen Wehrdienst und einer allgemeinen Dienstpflicht
AGDF und EAK
- Voraussichtlich im Mai 2025 erhalten volljährig gewordene deutsche Staatsbürger*innen erstmals einen Fragebogen zum Wehrdienst zugeschickt[1]. Er stellt sie vor die Frage, ob sie freiwillig einen sog. Basiswehrdienst leisten wollen. Auch in der Erwartung, dass diese „erweiterte Erfassung“ von jungen Menschen nicht dazu führt, dass die Bundeswehr die gewünschte Zahl an Berufssoldat*innen und Reservist*innen gewinnt, fordern Politiker*innen die (Wieder-) Einführung einer allgemeinen Wehrdienstpflicht auch in Friedenszeiten.
- Damit stehen die jungen Leute vor elementaren Fragen: Ist ein solcher Wehrdienst mit ihrem Gewissen, ihren ethischen Vorstellungen und politischen Überzeugungen vereinbar? Sind sie bereit, einen (militärischen) Beitrag zur Verteidigung Deutschlands und der NATO zu leisten? Oder machen sie von ihrem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen Gebrauch?
- Die Kirche sollte diesen jungen Menschen in ihrer Entscheidungsfindung zur Seite stehen. Sie sollte die finanziellen, personellen und fachlichen Ressourcen zur Verfügung stellen, um Beratung im schulischen und außerschulischen Bereich anbieten zu können, Informationen und Materialien zu erstellen und Multiplikator*innen zu schulen.
Insbesondere sollte die Kirche Räume bieten, in denen junge Leute miteinander über ihre Entscheidung sprechen und streiten können.
- Die Debatte um Wehrdienst und Wehrpflicht stellt die Kirchen vor wichtige ethische Fragen:
- Das Thema lässt sich nur auf dem Hintergrund der gesellschaftlichen Debatte um Sicherheit und Frieden, um Schutz- und Verteidigungskonzepte bearbeiten. Die Friedensdenkschrift von 2007 formuliert einen eindeutigen Vorrang für Krisenprävention und zivile Konflikttransformation. Wie kann dieser angesichts des russischen Angriffskrieges und einer steigenden Zahl an kriegerisch ausgetragenen und sich zuspitzenden Konflikten politisch umgesetzt werden? Wie können friedensfördernde Instrumente ausgebaut werden? Welche Aufgaben sollte die Bundeswehr mit welcher Ausstattung übernehmen? Wie viele aktiven Soldat*innen und wie viele Reservist*innen sind dafür notwendig?
- Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist ein Grund- und Menschenrecht. Der freiheitlich-demokratische Charakter eines Staates zeigt sich im Respekt vor dem Gewissen des*r Einzelnen. Die politische Unterscheidung von Freund und Feind darf nicht dazu führen, dass z.B. Verweigerer aus Russland oder der Ukraine in Deutschland keine Zuflucht finden.
- Im Zusammenhang mit der Rede von der „Kriegstüchtigkeit“ verändert sich auch das Bild vom soldatischen Handeln; dies zeigt sich auch in den Werbeaktionen der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums. Welche Bilder des militärischen Handelns werden dabei erzeugt? Passen diese Bilder zu dem Selbstverständnis vieler Soldat*innen als Staatbürger*innen, die aus staatsbürgerlicher Verantwortung ihr Land verteidigen wollen? Oder setzt „Kriegstüchtigkeit“ wieder auf solche militärische Narrative, die der Parlamentsarmee einer Demokratie nicht angemessen sind? Was folgt daraus für die Entscheidung junger Menschen zu einem Wehrdienst?
- Welche Folgen haben Änderungen im Bild des Soldaten/ der Soldatin unter dem Aspekt der Gleichberechtigung und der verschiedenen geschlechtlichen Identitäten? Aktuell leisten 15% Frauen einen Wehrdienst, debattiert wird ein (Wehr-) Pflichtdienst für alle deutschen Staatsbürger*innen. Dies dürfte dazu führen, dass der Diskurs um die sozialen und politischen Implikationen der Gleichberechtigung ebenso wie um patriarchale Rollenbilder sowie gendergerechte Arbeitsbedingungen im Kontext der Bundeswehr an Bedeutung gewinnt.
- Staat und Zivilgesellschaft sind auf das soziale oder ökologische Engagement ihrer Bürger*innen angewiesen. Insbesondere Politiker*innen der CDU/CSU, aber auch der Bundespräsident setzen sich für eine allgemeine Dienstpflicht für junge Menschen ein.
Die EKD hat sich 2006 gegen einen sozialen Pflichtdienst und für die Stärkung der Freiwilligendienste positioniert[2]. Gemeinsam mit Freiwilligendienstträgern, Wohlfahrtsverbänden u.a. sollte sie sich in der öffentlichen Diskussion für verbesserte Bedingungen für ehrenamtliches, freiwilliges Engagement, für einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst und eine umfassende Information und Beratung junger Menschen stark machen. Die Kirche bietet ein breites Spektrum an Freiwilligen- und Friedensdiensten im In- und Ausland in evangelischer Trägerschaft; sie sollte diese Angebote stärker bekannt machen und kommunizieren, wie sie zur Förderung des Friedens beitragen.
Vorgelegt zur EKD-Synodentagung im November 2024
[1] Laut dem Gesetzentwurf zum neuen Basis-Wehrdienst: https://www.bmvg.de/de/service/gesetze-und-verordnungen/entwurf-gesetz-modernisierung-wehrersatzrechtlicher-vorschriften-5849530
Für Wehrpflichtige (d.h. Männer ab 18 Jahren) ist das Ausfüllen des Fragebogens verpflichtend, sonst droht ein Bußgeld.
[2] Stellungnahme „Freiheit und Dienst“ einer von dem Rat der EKD eingesetzten Kommission https://www.ekd.de/ekd_text84.htm
- [ Hinweis zur neuen Dienstpflicht (CDU):
Es gibt Anzeichen, daß die 2025 neu zu wählende Bundesregierung Änderungen in Gesetzgebung und Grundgesetz vornehmen könnte:- Rücknahme der Aussetzung der Einberufung zur Wehrpflicht für alle Männer (aktuelle Gesetzeslage)
- Ausweitung der allgemeinen Wehrpflicht auf m/w/d (Grundgesetzänderung)
- Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht m/w/d mit freier Wahl zwischen Wehr- und zivilen Diensten (Grundgesetzänderung)
- Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht m/w/d ohne freie Wahl zwischen Wehr- und zivilen Diensten (Grundgesetzänderung)
- Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung steht in der momentanen Debatte nicht zur Diskussion. (Grundgesetzänderung) ]
- [ Hinweis zum vom Ampel-Kabinett noch beschlossenen Basiswehrdienst (ausstehender Parlamentsbeschluß):
Wer nach 1993 und vor dem 31. 12. 2006 geboren ist, gehört zu sog. "weißen Jahrgängen" ohne praktizierte Wehrerfassung. Wer danach volljährig wird, wird von der Bundeswehr angeschrieben und muß als Mann den Fragebogen unter Bußgeldandrohung zurücksenden. Gesundheitsuntersuchung und Wehrdienst bleiben abgesehen vom Spannungs- und Verteidigungsfall freiwillig. ]
[ aus dem Gesetzentwurf: "... So wird die im WPflG verankerte Erfassung unabhängig vom Spannungs- und Verteidigungsfall reaktiviert und gleichzeitig an das aktuelle Melderecht und die damit verbundenen IT-gestützten Verfahren angepasst. Dies stellt gegenüber dem früheren Erfassungsverfahren auch eine Entlastung für die Meldebehörden der Bundesländer dar. Hinzu kommt eine
verpflichtende Befragung der wehrpflichtigen Männer über die Bereitschaft und die Fähigkeit zur Wehrdienstleistung sowie zu Bildungsabschlüssen, sonstigen Qualifikationen und Interessen. Die Abgabe der Erklärung soll ab Inkrafttreten des Gesetzes für Wehrpflichtige, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, auf Aufforderung der Wehrersatzbehörde verpflichtend sein. Es ist davon auszugehen, dass die Befragung – in Verbindung mit umfassenden Informationen über berufliche Möglichkeiten und Perspektiven in den Streitkräften – zu einer intensiveren Befassung der jüngeren Generationen mit dem militärischen Dienst führt und damit auch die Anzahl freiwilliger Bewerbungen steigen wird. Daneben soll die bereits jetzt in § 58c SG vorgesehene Möglichkeit bestehen bleiben, Personen über Tätigkeiten in den Streitkräften zu informieren. Darüber hinaus wird nicht wehrpflichtigen Personen die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an der vorgesehenen Befragung eingeräumt. ... ] [ ... Vorgesehen ist, dass nur diejenigen Wehrpflichtigen erfasst werden und einer Verpflichtung zur Abgabe einer Bereitschaftserklärung unterworfen werden, die nach dem 31. Dezember 2006 geboren wurden. Eine Anwendung der Neuregelungen auf frühere Geburtsjahrgänge, die seit Inkrafttreten des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2011 nicht mehr erfasst wurden (das ginge bei umfassender Betrachtung bis zum Geburtsjahrgang 1993 zurück) erfolgt außerhalb des Spannungs- und Verteidigungsfalles nicht. Ein derartiger Umfang von Erfassungen und Befragungen wäre kurzfristig durch die Melde- und Wehrersatzbehörden kaum zu bewältigen und stünde auch nicht im Verhältnis zu dem damit verfolgten Zweck, ein möglichst aktuelles Lagebild zu erreichen. Einer speziellen Übergangsregelung bedarf es dafür nicht, da angesichts der neuen Erfassungsstruktur die früheren Geburtsjahrgänge nicht bei den Wehrersatzbehörden bekannt sind bzw. deren Daten bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes gelöscht wurden. Lediglich zur Gewährleistung des Datenbestandes für das Geburtsjahr 2007 bedarf es einer Übergangsvorschrift (§ 101 SG), wonach die ohnehin bereits erfolgte Datenübermittlung nach § 58c Absatz 1 SG im Jahre 2025 einmalig erneut zu
erfolgen hat. ... ]
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